Strassen- und Binnenschiffstransport von Kernbrennstoffen
Erster kombinierter Straßen- und Binnenschiffstransport von Kernbrennstoffen unter der neuen SEWD-Richtlinie Straße/Schiene
Um den Rückbau ihres 2005 abgeschalteten Kernkraftwerks Obrigheim (KWO) voranzutreiben, startete die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) – Betreiberin und Eignerin der beiden Kernkraftwerke in Obrigheim (seit 2008 im Rückbau) und Neckarwestheim (weiterhin in Betrieb) – im Jahr 2013 mit der Untersuchung realisierbare Optionen für den Transfer von 342 Brennelementen aus dem KWO-Nasslager in das nahegelegene Standortzwischenlager des Kernkraftwerks Neckarwestheim (ca. 50 Kilometer Entfernung).
Gestützt durch mehrere Transportstudien und basierend auf ihrer umfangreichen Erfahrung mit Kernbrennstofftransporten hochsensibler Materialien mit hoher Öffentlichkeitswirksamkeit und starkem Medieninteresse, gelang der Orano NCS GmbH (NCS) der Vertragsabschluss für die Durchführung des Transports der 342 abgebrannten Brennelemente in fünfzehn CASTOR® 440/84mvK Behältern der Gesellschaft für Nuklear-Service mbH (GNS).
Nachdem der kombinierte Straßen- und Binnenschiffstransport der CASTOR® Behälter als die am besten geeignete Transportvariante identifiziert war, begann Orano NCS mit der Erstellung des Sicherungskonzepts, das Voraussetzung für die erfolgreiche Antragsstellung und Erteilung der § 4 AtG Beförderungsgenehmigung war, ohne die in Deutschland kein Kernbrennstofftransport durchgeführt werden darf.
Durch die gewählte Verkehrsträgerkombination wurde das EnBW-Projekt das erste seiner Art – ein Pionierprojekt. Denn nie zuvor hatte auf deutschen Binnengewässern ein sicherungsrelevanter Kernbrennstofftransport stattgefunden.
Am 27. März 2014 reichte Orano NCS offiziell seinen Antrag auf Erteilung einer Beförderungsgenehmigung für einen kombinierten Straßen- und Binnenschiffstransport für den Transfer von 15 beladenen CASTOR® 440/84mvK Behältern vom Kernkraftwerk Obrigheim in das Standortzwischenlager des Kernkraftwerks Neckarwestheim ein. Der Antrag beinhaltete den Einsatz von Schwerlastfahrzeugen, die im Roll-on/Roll-off Verfahren für den Be-& Entladevorgang des speziell modifizierten Schubleichters LD40 eingesetzt werden sollten.
Nach Durchführung aufwendiger und hochkomplexer Berechnungen sowie darauffolgend umfangreicher und komplexer baulicher und technischer Modifikationen des Transportequipments gelang es Orano NCS schließlich, die beantragte Beförderungsgenehmigung zu erhalten.
Am 16. Mai 2017 erteilte das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) die § 4 AtG Beförderungsgenehmigung und machte den Weg frei für den ersten sicherungsrelevanten Kernbrennstofftransport auf deutschen Binnengewässern.
Parallel zum Genehmigungsverfahren musste das benötigte Transportequipment – u. a. die Schwerlastfahrzeuge (Sattelzugmaschinen und Roller), die Schubboote, der Schubleichter sowie die Transportrahmen – bereitgestellt und den Anforderungen der neuen SEWD-Richtlinie Straße/Schiene entsprechend umgebaut werden. Hierbei galt es außerdem, gefahrgutrechtliche Vorgaben (z. B. ADN, ADR) einzuhalten. Der gesamte Umrüstungsprozess unterlag der kontinuierlichen Begleitung und Überwachung durch die verantwortlichen Behörden und unabhängiger Gutachter. Trotz ihrer hohen Zeitintensität und Komplexität konnten die Umrüstungsarbeiten rechtzeitig zum Transportbeginn fertiggestellt werden.
Der Planungsprozess beinhaltete zahlreiche Besprechungen mit Vertretern unterschiedlicher Behörden, Verwaltungen, Gutachter und Subunternehmen. Enormer Schulungsaufwand musste betrieben werden, um mehr als 100 Transportbeteiligte in Bezug auf Sicherungsmaßnahmen, Arbeitssicherheit, Strahlenschutz und Arbeitsabläufe zu schulen. Hierzu gehörte nicht zuletzt die Schulung und Qualifizierung des Sicherungspersonals, das gemäß den Bestimmungen der neuen SEWD-Richtlinie Straße/Schiene geschult werden musste.
Im Juni 2017 war es schließlich soweit. Alle Vorbereitungen waren abgeschlossen, alle Anforderungen erfüllt und alle erforderlichen Genehmigungen erteilt. Somit konnte der erste sicherungsrelevante Kernbrennstofftranpsort auf einem deutschen Binnengewässer durchgeführt werden.
Nachdem der Schubverband (Schubboot + Schubleichter) an der Anlegestelle des Kernkraftwerks Obrigheim angelegt hatte, und die externe Außenrampe als Verbindung zwischen Festland und Schubleichter ordnungsgemäß am Schubleichter LD40 befestigt war, verließ am 27.06.2017 der erste beladene CASTOR® 440/84mvK Behälter den gesicherten Bereich des KWO.
Der Schwerlastroller mit dem darauf befestigtem Behälter wurde von einer speziell für diesen Einsatz ausgerüsteten Schwerlastzugmaschine geschoben und hatte zunächst eine kurze Wegstrecke von ca. 200 Metern zurückzulegen, bis er schließlich über die Rampe auf den Schubleichter gerollt wurde.
Der Schwerlastroller wurde an seine vorgesehene Position innerhalb der sog. Einhausung des Schubleichters (speziell für diesen Transport entwickelte und gefertigte Überdachung) gerollt und dort sicher mit der Ladefläche verbunden.
Nach Abschluss der Ladungssicherung verließ die Schwerlastzugmaschine den Schubleichter, um den nächsten Behälter abzuholen.
Zwischenzeitlich wurden nautische Checks und Maßnahmen durchgeführt. Der Beladevorgang wurde wiederholt, bis alle drei CASTOR® Behälter sicher auf dem Schubboot verstaut und befestigt waren.
Am 28.06.2017 verließ der Schubverband schließlich seinen Liegeplatz im Hafen KWO (begleitet durch ein zweites Schubboot), um das Wendemanöver durchzuführen, das ihm die Reise ins 50 Kilometer entfernte Standortzwischenlager in Neckarwestheim ermöglichen würde.
Die Fahrt auf dem Neckar dauerte ca. 13 Stunden, in denen der Schubverband mehrere Brücken und Schleusen passieren musste. Der gesamte Transport wurde durch qualifiziertes Sicherungspersonal eskortiert und zusätzlich von Polizeikräften zu Land und auf dem Wasser begleitet. Aufgrund seines Pioniercharakters und der Tatsache, dass seit 2011 keine abgebrannten Brennelemente oder hochradioaktives Material mehr in Deutschland transportiert wurde, erregte der Transport bundesweit Interesse bei Öffentlichkeit und Medien.
Nach Ankunft des Schubverbands an der Anlegestelle des Kernkraftwerks Neckarwestheim wurde der Schubleichter an seinen Liegeplatz manövriert und an seiner Entladeposition vertäut.
Direkt im Anschluss an den Schichtwechsel des Sicherungspersonals wurde die externe Außenrampe per Kran am Schubleichter befestigt und der Entladeprozess gestartet.
Zwei speziell ausgerüstete Schwerlastzugmaschinen zogen den ersten von drei CASTOR® Behältern aus der Einhausung des Schubleichters, nachdem die Ladungssicherung des Schwerlastrollers gelöst war.
Der Behälter wurde direkt ins Standortzwischenlager gefahren, wo mit den Vorbereitungen für die Einlagerung im Zwischenlager begonnen wurde. Die Schwerlastzugmaschinen kehrten zur Anlegestelle zurück. Der Entladeprozess wurde wiederholt bis alle drei CASTOR® Behälter sicher im Zwischenlager angekommen waren.
Dieser erste Transport war ein voller Erfolg. Vier weitere, ebenso erfolgreiche Sicherungstransporte folgten im September, Oktober, November und Dezember 2017.
Am 19.12.2017 beendete die Orano NCS GmbH, gemeinsam mit ihren Subunternehmern, termingerecht und zur vollen Zufriedenheit ihres Kunden, der EnBW, den Transfer des letzten CASTOR® Behälters ins Standortzwischenlager, was den Schlusspunkt einer durchweg erfolgreichen Transportkampagne markierte.